
Flaschenpost & Reue
Flaschenpost & Reue
Es schnürt mir die Kehle zu. Weit mehr als ein Kloß im Hals erschwert mir das Atmen.
Wieso nur ist es gerade jetzt so still um mich herum? Der Strand ist menschenleer.
Ich bin mutterseelenallein. Ich spüre, wie Tränen sich ihren Weg bahnen...
„Nein!" schreie ich. „Nein, nein, nein. Du wirst nicht heulen! Du hast diese Erleichterung nicht verdient."
Ich schüttele mich, ziehe trotzig wie ein Kind die Nase hoch, fange die erste Träne, die sich löst ab und wische sie hastig beiseite. Atemlos trete ich vor einen Stein zu meinen Füßen.
Ich schlucke einmal kräftig. Den Widerstand des lästigen Kloßes im Hals ignoriere ich dabei. Dann renne ich los. Wohin? Egal! Hauptsache in Bewegung. Das Gemisch aus Sand und Steinen unter meinen nackten Füßen schmerzt fast, so wild renne ich. Vielleicht habe ich genau das verdient?
Schmerz!
Wie von Sinnen laufe ich weiter. Reue ist ein hässliches Gefühl, denke ich. Ich, die ich nie bereuen wollte. Ich, die ich stets glaubte Reue sei etwas für Schwächlinge.
„Lauf, Luca, lauf einfach weiter!" Brülle ich mich selbst an. Ein plötzlich auftretender, stechender Schmerz zwingt mich jedoch innezuhalten. „Fu**!!!" Kreische ich und gehe unweigerlich zu Boden.
Meinen rechten Fuß ziert eine gewaltige Blutspur. Keuchend falle ich auf die Knie.
„Was zur Hölle.." fluche ich, als ich meinen Fuß genauer betrachte. Eine relativ große, milchig-weiße Scherbe hat sich tief in meine Ferse gebohrt. Jetzt beginne ich zu lachen.
Erst etwas unterdrückt, aber dann immer lauter und lauter. Fast schon hysterisch. Mit einem nahezu schaurigen Lachen, das gar nicht nach mir klingt, versuche ich die Scherbe aus meiner Ferse zu ziehen. Es tut scheiss weh, aber vermutlich habe ich auch genau das verdient. Vermutlich brauche ich auch genau das.
Der unsägliche Schmerz übertüncht allmählich mein Gefühl.
Welch Erlösung. Körperlicher Schmerz ist besser als seelischer denke ich und lege mich in den Sand. Die verdammte Scherbe ist raus und ich beobachte, wie das Blut aus der Wunde tropft und eine kleine Pfütze bildet.
Plötzlich erregt etwas meine Aufmerksamkeit. „Ahhh, da haben wir ja den Übeltäter." Krächze ich und greife nach der kaputten Flasche, die einen halben Meter neben mir liegt.
Vermutlich Müll, denke ich. Achtlos von den Menschen an den Strand geworfen, nachdem sie ihren Spaß damit hatten..„Nein Luca. Stop! Hör auf" Schelte ich mich sellst. „Du warst den Gedanken grad los.
Lass ihn nicht zurückkommen!“
Die kaputte Flasche zur Seite schiebend, so wie meinen aufkeimenden Gedanken, schüttele ich meinen Kopf.
So heftig, dass meine Locken nur so tanzen.
Moment! Was ist das? In der Flasche scheint etwas zu stecken. Ein Zettel oder so. Seltsam, denke ich und ziehe daran. Jede Ablenkung soll mir recht sein. Vorsichtig ziehe ich weiter. Ganz langsam, damit das Papier beim
Rausziehen nicht am abgeschlagenen Flaschenrand zerreißt. Geschafft! Der Zettel ist zweimal gefaltet.
„Ein Brief!" Juchze ich fast. Schon als Kind war ich fasziniert von Flaschenpost. Genau das, was ich heute brauche. Die perfekte Ablenkung dieser elendigen Reue, Aufgeregt entfalte ich das feuchte, teilweise verdreckte Blatt Papier. Mein Atem stockt.. „D...d... das k...ka... kann doch nicht sein!« Stottere ich. Beim Anblick der Buchstaben auf dem Zettel läuft mir ein Schauer über den Rücken.
ICH VERGEBE DIR - steht da in Großbuchstaben. Nichts weiter. Nur diese drei Worte. Ich schlucke.
Das kann einfach nicht wahr sein. Wie? Woher? Wer?
Nein! Diese Flaschenpost kann unmöglich für mich bestimmt sein und dennoch spüre ich, wie der Schatten in mir sich verkriecht. Wie die Fesseln sich lösen. Ich atme geräuschvoll aus. Starre auf den Zettel in meiner Hand. Fixiere die Worte darauf und lasse meinen Tränen nun freien Lauf. Halte sie nicht mehr auf. Schlucke sie nicht mehr hinunter. Die Buchstaben auf dem Blatt verschwimmen vor meinen Augen.
"Danke!" Flüstere ich.